Aus dem Portfolio Peter Müller

Thomas Gauck: Peter, wenn ich mir dein Portfolio ansehe vergesse ich wirklich die Zeit … so viele hochkarätige und faszinierende Portraits. Aber ich muß gestehen, außer dass du in Rödermark lebst (was man deiner Website entnehmen kann), weiß ich sehr wenig über dich. Magst du uns ein paar Infos zu dir und zu deiner Fotografie geben?

Peter Müller: Geboren bin ich 1965 in Prüm in der Eifel, aufgewachsen mit einer Voigtländer Vito B/Canon AE 1 und immer schon in der Dunkelkammer selbst entwickelt, habe ich während des Studiums der BWL in Mainz schon Mit-Studenten portraitiert. Seit 1993 bin ich Unternehmensberater u.a. bei PwC und seit 2004 Partner bei BearingPoint in Deutschland. Als Manager und Photograph des NOIRteams, setze ich heute in Workshops für Kunden und Shootings meine eigenen Ideen fotografisch um bzw. ermögliche meinen Kunden Ihre Ideen umzusetzen.

„It is an illusion that photos are made with the camera… they are made with the eye, heart and head“ (Henri Cartier-Bresson)

Photographie hält Momente fest für die Ewigkeit. Die Kamera ist das mein Instrument, diese Momente einzufrieren. Der Photograph ist das Bindeglied zwischen der Kamera und dem Moment, den er erfassen möchte. Er entscheidet über den Moment selber, den Ausschnitt des Moments, den er in einem Bild festhalten will und die Gestaltung des Bildes. Das gilt für alle Genres der Photographie.

Ich versuche die Photographie im Sinne Cartier-Bressons zu leben. Photographie bedeutet für mich Emotionen zu leben und einzufangen, sie entstehen im Zusammenspiel von Menschen … die wir als Photographen mit den Menschen abbilden.

„Was mich interessiert, ist diese gewisse Wirklichkeit hinter der Fassade.“ (Peter Lindbergh 2014)

Ich möchte die Menschen so zeigen, wie sie sich selber sehen, wie sie sich in dem Moment der Aufnahme fühlen. Dazu verbringe ich Zeit mit ihnen, spreche, lache, schweige, sehe … Ich fotografiere und denke in Schwarz/Weiss. Ich mache keine Retusche ausser Licht und Kontrast, meist sind meine Bilder direkt out of camera … einerseits erleichtert das die Arbeit, sie zwingt aber auch sich direkt auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Thomas: Der große Lindbergh gibt bei Shootings ja ‚Dauerfeuer‘ … fotografierst du in ähnlichen Mengen und selektierst im Nachhinein?

Peter: .. nachdem ich PL in der ARD Sendung „Deutschland-Deine Künstler…“ habe arbeiten sehen, wusste ich das ich nicht ganz aus der Art geschlagen bin. Ich bin auch immer auf Highspeed und aus einem Shooting können problemlos 2000-3000 Bilder entstehen. Da bei mir die Menschen vor der Kamera immer in Bewegung sind möchte ich den Einen Moment „dazwischen“ festhalten an dem alles perfekt ist … nicht perfekt im technischen Sinne … sondern emotional… d.h. die Person zeigt sich so natürlich in der Situation wie sie sich in dieser Sekunde fühlt. Das erreicht man meiner Meinung nach nur durch „Dauerfeuer“ wie PL es nennt. In der aktuellen Vogue sagt er dass er für den Pirelli Kalender 40 Bilder liefern musste, 37.000 geschossen und 18.000 archiviert hat. Da ist noch Luft nach oben für mich :-)

Thomas: Wie gehst du denn bei deiner Bildauswahl vor? Was sind deine Kriterien, um ein Foto zu behalten, sei es für die Vorauswahl oder die Endauswahl?

Peter: Ich erlebe das „Top-Bild“ oft schon während des Shootings, d.h. Ich weiss dass es da ist weil ich es schon gesehen habe. Das passiert oft pro Set, so dass ich in der Vorauswahl den Schwerpunkt auf diese Momente lege. Generell schau ich mir in Lightroom alle Bilder in S/W an und selektiere mit Sternen. Die feine Auswahl gehe ich dann im Vergleichsmodus durch. So reduzieren sich aus 1000 Bildern schnell eine Top-Liste von 40-60 Bildern. Meist gehe ich dann ein halbes Jahr später noch mal durch und finde dann noch mal andere. Das Model bekommt in der Regel von mir so 20% der Bilder zur Auswahl weil sie meist andere auswählen als ich.

Thomas: Wie findest du immer wieder zu neuen – erfrischend neuen – Motiven? Ich meine: Klar, andere Sets, andere Gesichter führen zu anderen Motiven. Aber wie gehst du damit um, neue Motivideen zu kreieren – wieviel Planung ist dabei, und wie viel entsteht aus der Selektion heraus? Ist es bei der Selektion so, dass du geniale Shoots verwirfst, weil du sie zu ähnlich schon aus anderes Sessions hattest?

Peter: Für mich ist alles eine Quelle der Inspiration, d.h. oft sehe ich was in der Werbung, Zeitungen, etc, einen Ort beim Reisen, Bücher – habe über 300 Photobände – besonders Lindbergh, Newton, Avedon, Elgort, Vincent Peters, Greg Gorman… Für jedes Shooting plane ich mit dem Model anhand eines Moodboards – meist aus Pinterest zusammengestellt – die einzelnen Sets. Entweder versuche ich das im Studio entsprechend vorzubereiten bzw. aufzubauen, suche aber lieber authentische Locations – Häuser, Wohnungen (AirBnB), Lost Places, Bar, Autos etc. Ich habe über die Jahre jetzt ein Netzwerk aufgebaut, auf das ich immer zugreifen kann.

Eigentlich verwerfe ich nie gute Bilder, selbst wenn Sie sehr ähnlich eines schon existierenden Bildes sind. Aber erstens ist es immer ein anderer Mensch, anderer Look, Ausdruck und Moment … Wenn man PL in den letzten Jahren verfolgt, entstehen viele seiner Portraits immer in einer ähnlichen Situation – sein LichtCage, Tisch, Stuhl, Kisten etc. und dennoch ist jedes Portrait immer etwas anders und persönlicher, es führt nur dazu das man es erkennt und nicht viel ablenkt … diese Ansatz finde auch auch sehr gut und verfolge ihn ähnlich.

Thomas: Viele deiner Motive könnten aus einem späten ‚Film Noir‘ stammen, dafür sprechen die harten Hell-Dunkel-Kontraste und die reduzierte Beleuchtung, ebenso sehr wie die Wahl deiner filmreifen Modelle – männlich wie weiblich. Ist dir dieses Film-Genre in der Tat wichtig in deiner Arbeit, leitest du daraus ein fotografisches Sehen ab?

Peter: Ich bin mit Film Noir aufgewachsen bzw. Hitchcock-Filmen in denen das Licht mehr Drama machte als die Protagonisten. Daher arbeite ich fast ausschließlich mit natürlichem oder Dauerlicht um diese Stimmung zu erzeugen bzw. das Licht ein Teil der Bildgestaltung bewusst zu nutzen.

Was die Models angeht suche ich meist spannende Gesichter die was ausdrücken können. Gute Models sind für mich dann gut, wenn sie auch gute Schauspieler sind. Daher verstehe ich meine Rolle mehr als Regisseur und Kameramann in Einem, der dem Model die Idee und die Rolle erläutert und es dabei unterstützt diese dann zu spielen. Dieses Spiel nehme ich dann mit vielen Bildern auf um diesen einen perfekten Moment aufzunehmen.

Thomas: Begeistern dich auch andere fotografische Genres oder bist du zu 100% People-Fotograf?

Peter: Ich mache auf Reisen sehr viele Bilder, Landschaften und Menschen – dann auch in Farbe … wobei ich mir immer offen halte das in S/W zu konvertieren. Hierzu nutze ich sehr oft meine Leica M da sie viel Handlicher und unauffälliger ist. Diese Bilder verarbeite ich meist zu einem Buch. Kommerziell arbeiten wir im Noirteam oft mit Farbe und S/W für Kataloge (Fashion/Designs) und dann eben bedingt Produktfotos und gestellte Bilder um dem kommerziellen Gedanken gerecht zu werden. Diese Bilder zeige ich aber so gut wie nie.

Thomas: PL sagte vor Kurzem, „… die Kamera ist absolut egal …“ – ist das bei dir auch so?

Peter„It is an illusion that photos are made with the camera… they are, made with the eye, heart and head“ Henri Cartier-Bresson

Das wurde schon früher von einem der besten Photographen jemals und Gründer der Magnum Agentur festgestellt. Ich kann das nur bestätigen…. ob Nikon, Sony, Canon … es sind Werkzeuge … alle sind in der Lage gute Bilder zu machen. Viel wichtiger ist das Werkzeug intuitiv zu nutzen, d.h. du stellst die Kamera zum Start des Sets einmal ein und kümmerst dich, solange die externen Faktoren (Licht, Schatten, etc) sich nicht signifikant verändern, nicht mehr um die Kamera sondern um das Model und die Szene. Ich shoote alles nur manuell (Zeit, Blende, ISO, WB) und im Continuous-Focus bei schneller Serie. Ich stelle die Kamera einmal mit einem Schuss ein und dann kümmere ich mich nur noch um die Szene, das Model, spreche, dirigiere etc. schaue mir aber kein Bild zwischendurch an um die Energie auf beiden Seiten nicht zu verlieren. Für mich ist dann die Kamera in der Hand die Verlängerung meines Auges und meiner Vision des Bildes im Kopf. Ich glaube fest, bekomme das auch oft von Models bestätigt, dass das zu Vertrauen und Offenheit führt, da sie merken, dass sie im Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit sind und nicht die Kamera bzw. die Technik.

Thomas: 8. Wie stehst du zu Retusche-Arbeiten an Portraits?

Peter: Es erstaunt mich immer wieder, wie viel an Bildern bearbeitet wird. Ich spreche von ganz normalen Portraits und nicht Bildern, die bewusst für die Werbung oder andere kommerzielle Aufgaben so arbeitet werden müssen – nein Bilder wie ich sie auch jeden Tag mache. Ich kann nicht verstehen, warum Photographen das Model nach dem Shooting so verändern müssen, dass sie teilweise sich selbst nicht mehr gleichen … das geht so weit, dass ich in einem Shooting gehört habe …„Licht und Pose egal, mache ich später in PS…“. Justage an einem Bild, Licht, Schatten, Kontraste, Schnitt …alles Normal, hatte man früher in der Dunkelkammer auch gemacht aber mit „Verflüssigen“ und anderen Filtern die Person verändern (Nase, Gesichtsumfang, Augen, Beine, Po etc) ist grausam in meinen Augen. Aus zwei Gründen: erstens es gibt dem Model das Feedback, Du bist nicht gut wie Du bist … das ist nicht nur unhöflich sondern verletzt die Person auch persönlich .. zumindest meine Erfahrung aus Erzählungen… Zweitens hat das nichts mit Photographie zu tun, sondern ist Composing und sollte als solches gekennzeichnet sein. In dem Fall ist für mich das Bild die Rohmasse um etwas anderes zu gestalten. wenn dem so ist… alles gut, …wenn es aber dazu führt, das sich der Photograph nicht mit den Basics beschäftigt, weil er alles später richtet, es aber als Photographie ausgibt … no way… Allerdings meine Sicht …

Thomas: Social-Media-Gefälligkeit und eigener Stil – wie geht das zusammen?

Peter: Ich beobachte und schreibe bzw. arbeite viel mit anderen Photographen. Ich habe meine Vorbilder – sei es die alten Meister, die schon tot sind, oder aktuelle wie Lindbergh, Georg Gorman, Jacques Olivar, Vincent Peters… Sie haben über die Jahre Ihre Handschrift entwickelt, oft gegen die Widerstände des Marktes bis der Markt sie entdeckte. Heute habe ich das Gefühl das sehr talentierte Menschen photographieren, sehr individuelle und besondere Stile zeigen und dafür aber in FB oder Instagram nicht die Anerkennung finden, die sie sich erhoffen. So passen sie schleichend sich dem „mainstream FB/Instagram“ Geschmack an … Farbe, süsse Gesichter, Haut, starke Bearbeitung .. und erfahren auf einmal Anerkennung. das Problem dabei ist, der eigene Stil ist weg und man geht in der großen Masse unter. Ich kann aus eigener Erfahrung nur sagen und empfehlen … shootet für Euch, Ihr müsst das Bild lieben und dazu stehen… arbeitet nicht für Likes oder Follower, sondern für Euch… sonst verliert Ihr den Spass an der Photographie … ich kenne Einige die das Rennen in Social Media aufgegeben haben .. Wenn Ihr es aushaltet, dass nur wenige, aber vielleicht dafür gute Photographen Eure Arbeit würdigen, sie kommentieren und verfolgen, habt Ihr mehr gewonnen als hunderte „sabbernde“ Follower, die wissen dass sie bei Euch tolle süsse Gesichter zu sehen bekommen, die sie so nie in Natura sehen würden … Wiederum meine Sicht der Dinge und meine persönliche Erfahrung nach einer 18-monatigen Durststrecke.

Thomas: Hast du eigene Projekte in naher Zukunft – eine Ausstellung zum Beispiel?

Peter: Ausstellung gibt es noch keine, aber demnächst ein Buch „Noir“ mit der Story des St. Peter-Ording shootings für den Designer Emanuel Hendrick und den S/W Arbeiten vom NoirTeam- jean Noir, Jessica Noir und mir Date ist September 2017.

Thomas: Vielen Dank Peter, für deine Bildstrecke und das Interview!

Peter Müller - Foto: Jean Noir

Peter Müller (Foto: Jean Noir)