Israel Steffen Böttcher

Thomas Gauck: Steffen, vor Kurzem bist du von deiner zweiten Reise aus Israel zurück. Haben sich deine Erwartungen erfüllt?

Steffen Böttcher: Ja und nein. Ich wollte eigentlich tiefer in die Glaubensthematik einsteigen und habe nach kurzer Zeit gemerkt, dass sich der Fokus in Israel eher auf die Kirche und weniger auf den Glauben richtet. Ich bin weder getauft noch gläubig, hatte allerdings gehofft, ein wenig Spirit mitzunehmen. Das Gegenteil war der Fall. Mich hat der Zirkus dort am Ende doch eher kopfschüttelnd stehen gelassen. Auf der anderen Seite habe ich Ecken in Israel gefunden, die ich so nicht erwartet hatte. Die Negev-Wüste mit ihren Canyons hatte ich in dieser ausgeprägten Schönheit überhaupt nicht auf dem Zettel.

Thomas: Ist es von Vorteil, wenn man nach Israel mit einer gewissen spirituellen Grundhaltung reist, oder wäre die für eine Fotoreportage eher hinderlich?

Steffen: Ich glaube nicht, dass man das pauschal beantworten kann. Die Antwort muss sich jeder selbst geben. Mir ist meine, nur wenig ausgeprägte spirituelle Grundhaltung, dort eher verloren gegangen. Bei einer Fotoreportage sollte man ja eigentlich immer objektiv und mit gut ausgeprägter mentaler Distanz vorgehen, sonst wird es zu einseitig.

Thomas: Wie hat dich Israel spirituell, gesellschaftlich geprägt, wie die Negev-Wüste, das Tote Meer …?

Steffen: Ich gehe inzwischen gelassener mit dem israelischen Konflikt um und glaube, dass man hinnehmen sollte, dass eine Lösung in sehr weiter Ferne liegt. Ich habe dort Palästinenser zusammen mit Juden beim Plauschen beobachtet, habe gesehen wie sie völlig selbstverständlich und normal miteinander umgingen. Der Konflikt ist nur ein Teil des Landes. Leider rückt er immer wieder in den Fokus, dabei kann das Land so unglaublich viel, vor allem beeindrucken. Ich bezeichne die Situation dort gern als „Irritierend normal“. In jedem Fall ist es dort sehr sicher. Man hat nie das Gefühl in Gefahr zu sein.

Thomas: Ich kann mir vorstellen, dass man, wie bei anderen Reisen auch, in den ersten Tagen oberflächlicher sieht und fotografiert, als im Laufe der folgenden Tage oder Wochen – ist dies vielleicht auch der Grund warum du oft gleich mehrere Wochen am Stück verreist?

Steffen: Du begreifst ein Land nicht bei einem Zwei-Wochen-Pauschal-Trip. Oft stellt sich der Zauber erst ein, wenn du wirklich angekommen bist und dich auf das jeweilige Land komplett eingelassen hast. Ich habe auch gemerkt, dass ich vor allem dann die besseren Fotos mache, wenn mir ein Land so langsam auf die Nerven geht. Das ist oft nach 3-4 Wochen der Fall. Ich fotografiere dann nicht mehr das Offensichtliche, sondern finde immer mehr Zwischentöne.

Thomas: Was sind deine fotografischen Tipps zu Israel allgemein, zu Jerusalem im Besonderen, was muß man gesehen haben, was sollte man unbedingt vermeiden? Wie wird man von den älteren Isrealis als Deutscher wahrgenommen?

Steffen: Israel ist ein weltoffenes, demokratisches und sehr sicheres Land. Ich habe dort als Deutscher nie auch nur einen Hauch von Vorwurf oder Abneigung gespürt. Man sollte sich dort – wie in jedem anderen Land der Welt – respektvoll gegenüber der Kultur und dem Glauben verhalten. Mit der Jogginghose geht man nicht in die Kirche, Synagoge oder in die Moschee … Tel Aviv ist eine Schwulen- und Party-Hochburg und ist nur 45 min von Jerusalem entfernt. Ich glaube das sagt viel aus. Man sollte neben Tel Aviv und Jerusalem unbedingt in den Süden des Landes reisen. Die Negev Wüste und Eilat haben mich wirklich beeindruckt.

Thomas: Im Gegensatz zu Vietnam, wo du ja auch öfter bist, und 2016 erst wieder warst, ist das traditionelle jüdische Leben in Israel ausgeprägt mit religiösen Regeln belegt, während in man Vietnam durchschnittlich eher atheistisch lebt. Kann man diese Länder überhaupt in der Art gegenüberstellen? Wenn ja, ist dieser kulturelle Kontrast auch Grund deines Reiseturnus?

Steffen: Ich glaube das muss ich etwas zurecht rücken: Vietnam ist weder ausgeprägt glaubensfrei, noch ist Israel ausgeprägt jüdisch. Israel ist zwar ein jüdischer Staat, allerdings ist der Gesamteindruck des Landes nicht sichtbar religiös indoktriniert. Jerusalem ist der Schmelztiegel vieler Konfessionen, auch außerhalb der alten Stadt. Ich habe dort sehr weltoffene jüdische Jugendliche erlebt, mit denen ich gemeinsam das Channuka Fest gefeiert habe, von denen aber auch niemand mehr so richtig wusste, was man da eigentlich genau feiert. Und ich habe oft sehr nett und gut in arabischen Vierteln gegessen, von denen es dort nicht wenige gibt. Beide Welten – sowohl die jüdische als auch die arabische, bilden die Kultur des Landes und prägen es.

In Vietnam findet man Christen, Buddhisten, Muslime, Atheisten. Im Gegensatz zu Israel gibt es dort keinen Religionsstreit. Man geht gelassen mit der Religion des Anderen um. Der Hauptgrund meiner Reisen ist immer das Entwickeln eines Verständnisses für andere Kulturen und Lebensweisen. Nach vielen Jahren des Reisen kann ich sagen, dass sich sowohl meine Maßstäbe als auch mein Weltbild positiv verschoben haben. Die Menschen sollten mehr reisen. Dann gäbe es mehr Verständnis und weniger Kriege.

Thomas: Wie fotografierst du auf deinen Reisen, eher unbemerkt, oder offensichtlich? Wechselt das evtl.? Ich weiß, dass du einen kleinen Instax-Drucker dabei hast um das Eis zu brechen, und gleich Bilder dazulassen. Funktioniert das so auch in Israel?

Steffen: Israel ist touristisch gut besucht und es wird auf den Strassen sehr viel fotografiert. Man fällt nicht wirklich auf, wenn man mit der Kamera durch die Strassen zieht. Die Instax-Kamera habe ich vor allem in ärmeren Ländern dabei, weil ich den Menschen dort in gern etwas zurück gebe. Ich mag den Gedanken nicht, irgendwo anzuhalten, alles zu fotografieren und dann weiter zu fahren. Für mich ist ein Foto immer der Abschluss einer Begegnung.

Thomas: Hattest du auch dieses mal wieder fotografische Mitreisende dabei? Welche Skills erarbeitet man sich auf einer Reise mit dir, und wie kommt es, dass du Einen überhaupt mitnimmst, was muss man dafür im Vorfeld tun? Welche Reisen hast als nächste auf der Liste?

Steffen: Jeder, der offen und neugierig ist kann mitkommen, ich habe da keine „Mindestanforderungen“. Man sollte ein klein wenig leidensfähig sein und nicht auf Hemdenbügelservices in Hotels wert legen. Es geht neben der Fotografiererei auch immer um Kommunikation und Wahrnehmung…
In ein paar Wochen geht es für mich wieder für zwei Monate nach Vietnam. Ich bin dort wieder mit zwei verschiedenen Gruppen in den Bergen im Norden unterwegs. Im Herbst geht es dann erstmals mit einer Gruppe nach Schottland und im nächsten Jahr werde ich auch Israel mit in meine Workshop-Touren aufnehmen…

Thomas: Das Jahr 2016 ging gerade zu Ende. Fotografisch wurden wir in diesem Jahr in sämtlichen digitalen Medien berauscht wie nie. Der tägliche Stream an neuen Bildern, die gesichtet werden wollen, sei es von Portalen, Magazinen, Redaktionen oder ‚Buddies‘ ist immens, immens redundant und immens zeitfressend. Muss man die Mästung als Fotointeressierter hinnehmen, oder führt erst das gegenläufige Verhalten, nämlich qualitativ und selektiv zu fotografieren, den ganzen zielgruppengesteuerten Mainstream gar nicht zu beachten, zum Elixier guter Bilder?

Steffen: Ich kann hierzu nur einen Tipp geben. Hinterfrage, warum du eigentlich fotografierst. Die Antwort wird dir auch zeigen, wie du mit der Flut an Bildern umzugehen hast. Fotografie ist kein Wettbewerb sondern eine Möglichkeit zu zeigen, wie du die Welt siehst. Nicht mehr und nicht weniger. Also orientiere dich weniger an anderen sondern mehr daran, wozu du imstande bist.

Thomas: Viele wissen, dass man bei dir in der Lüneburger Heide (Buchholz) diverse Einheiten – Mind Classes, Hochzeitsfotografie, Einzelcoachings – buchen kann, um sich in der Fotografie, sicher aber auch darüberhinaus, in Selbstreflektion, in Authentizität, in Bildsprache und künstlerischer Stringenz schulen lassen kann. Mich würde interessieren, welches menschliche Feedback du aus den vielen Coachings gezogen hast, wie haben dich Sicht- und Verhaltensweisen von Teilnehmern überrascht; haben sich aus manchen Begegnungen vielleicht Freundschaften entwickelt – hat sich deine fotografische Arbeit in Konsequenz aus deinen Seminaren irgendwie subtil verändert? Ist eine Reise mit Steffen Böttcher eine erweiterte Mind Class?

Steffen: Ich habe eine Menge Freunde aus den Workshops und Coachings gewonnen. Auch nach Jahren habe ich ein sehr enges Verhältnis zu vielen meiner Teilnehmer. Vor allem aus meinen Vietnam-Trips sind enge Verbindungen entstanden. Zwei Wochen eng aufeinander in den Bergen Vietnams schweissen zusammen und man erfährt eine Menge voneinander. Gefühlt, könnte wahrscheinlich jeder Teilnehmer einer Tour bei jedem anderen aus dieser Tour Nachts um zwei Uhr klingeln und würde Einlass finden.

Wir beschäftigen uns ja schon viel mit der Psyche und ich werde oft zum fotografischen Seelenklempner. Eigentlich liegt das Problem bei vielen im immer nur im Vergleich. Es gibt einen Satz, den ich sehr schätze: „Des Glückes Tod ist der Vergleich.“ Viele Fotografen schauen sich permanent die Arbeit von anderen Fotografen an und leiten daraus ihr eigenes Unvermögen ab. Dabei wird oft vergessen, dass das was man da draußen an tollen Arbeiten sieht, die Spitze eines wundervollen Eisberges ist, der auf sehr vielen Versuchen und Niederlagen aufbaut. Für viele gehört Scheitern einfach nicht zum Prozess des Entwickelns dazu und sie sind sauer auf sich, wenn mal was nicht klappt. Dabei ist das völlig normal…

Thomas: Hin und wieder gibst du auch mal einen Musiktipp … die schätze ich sehr, weil sich dadurch Bilder nochmal verstärken können. Welche Musik hattest du zuletzt dabei, welche Bedeutung misst du selbst Musik während einer Foto-Produktion bei?

Steffen: Mich persönlich beflügelt Musik ungemein. Sie wird oft zum Soundtrack für das, was ich gerade tue. Deshalb habe ich unzählige Playlists für alle möglichen Zwecke und Situationen abrufbar. Das reicht von Klassik bis Punk… oft auch schräges Zeug. Bei der letzten Produktion lief… Moment ich schau mal… Ástor Piazolla.

Thomas: Herzlichen Dank Steffen für deine Bildstrecke aus Israel, bei der wir ein wenig mitreisen können und deine Zeit für das Interview!

Steffen Böttcher

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Steffen Böttcher - Israel
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Steffen Böttcher - Israel
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