Thomas Gauck: Andrea, erzähl uns bitte etwas über dich, woher kommst und wie sieht deine Welt der Fotografie aus?
Le Rêve De La Nymphe Andrea Kisslinger
Andrea Kisslinger: Hallo, ich komme aus Freiburg und bin im wahren Leben Lehrerin. Wie für viele, war die Beschäftigung mit der Fotografie für mich in erster Linie ein Hobby. Es ist eine Welt, in der ich völlig versinken kann. Und über eine lange Zeit hinweg war das auch eine rein private Welt – nur wenige wussten überhaupt, dass ich fotografiere. Spätestens als ein Freund mich um Bilder für seine Kanzlei bat, dämmerte mir, dass meine Fotografien andere Menschen interessieren könnten. Den letzten Anstoß gab meine Mitbewohnerin, die mich bei meiner ersten Ausstellung »meer|blick« unterstützte -einer schwarzweiß Serie mit Landschaftsaufnahmen von Rügen.
Fotografieren ist für mich jedesmal ein kleines Abenteuer. Es kommt eben oft anders als geplant: Man hat ein bestimmtes Bild im Kopf und merkt erst beim Shooting, dass es mit diesem einen Model einfach nicht funktioniert. Dafür kommen aber ganz neue Ideen ins Spiel und so wird aus einem misslungenem Milchbad-Shooting so etwas wie die Serie »le rêve de la nymphe«.
Thomas: Was ist der Schwerpunkt deiner Fotografie?
Andrea: Ich habe lange Zeit ausschließlich Landschaften fotografiert. Portraits kamen erst vor ungefähr einem Jahr dazu und sind mittlerweile der Schwerpunkt meiner Fotografie. Ich liebe den Austausch mit meinen Models und anderen Fotografen, den kreativen Prozess von der ersten Idee bis zur fertigen Aufnahme. Richtig spannend wird es für mich, wenn sich meine Models auf ungewöhnliche Aufnahmen einlassen und experimentierfreudig sind. Das war bei der Serie „le rêve de la nymphe“ so – aber auch bei dem aktuellen Projekt zum Thema Depression, das ich zusammen mit dem Ingolstädter Fotografen Alexander Apprich umsetze und ab dem 19.05.17 in einer Ausstellung in Ingolstadt zeigen werde.
Egal ob es sich bei meinen Fotografien um Landschaften oder Portraits handelt – es sind immer Momentaufnahmen von Gefühlen, die ich visualisieren will.
Dabei bleibe ich zumindest in der nächsten Zeit meiner Nikon D5100 treu. Sie war meine erste Spiegelreflex – wenn ich die Möglichkeiten dieser Kamera ausgereizt habe, kommt für mich vielleicht etwas Anderes in Frage.
Thomas: Fotografierst du gerne indoor oder outdoor – und warum?
Andrea: Mit einem Entweder/Oder kann ich diese Frage nicht beantworten. Ich finde, das hängt ganz stark davon ab, was das Thema des Shootings ist. Ich versuche, meine Ideen mit einfach zugänglichen Mitteln umzusetzen. Pompöse Inszenierungen liegen mir nicht. Die meisten meiner Portraits sind indoor entstanden, nicht zuletzt weil man ungeachtet des Wetters agieren kann. Bei outdoor Aufnahmen ist man von entschieden mehr unvorhersehbaren Faktoren abhängig, was spannend und herausfordernd ist.
Das Umfeld beeinflusst die Aussage eines Bildes enorm. Für mich stehen das Model und die Geschichte, die transportiert werden soll, im Vordergrund. Habe ich eine gute Location, die nicht nur „hübsches Model auf hübscher Blumenwiese“ hervorbringt, würde ich mich definitiv für outdoor entscheiden.
Thomas: Was ist bei dem Milchbad-Shooting schief gegangen?
Andrea: Herrjeh, das Milchbad-Shooting :-)
Meine Grundidee war, den Kontrast von Ruhe und Bewegung im Wasser darzustellen. Die erste Schwierigkeit war, jemanden zu finden, der überhaupt dazu bereit war, in ein Milchbad zu steigen. Die zweite war die Eigenschaft des Wasser-Milch-Gemischs: Für meine Idee war die Struktur der Wellen nicht ausreichend kontrastiv. Deswegen habe ich es in einem zweiten Durchgang mit farbigen, glitzernden Badekugeln versucht. Die Fußbodenheizung und das warme Wasser hatten zur Folge, dass die Linse andauernd beschlug und mein armes Model mit hochrotem Kopf zwischen welkenden Blüten saß. Trotzdem sind dabei sehr schöne Bilder entstanden. Beim letzten Versuch wollte ich nun endlich meine Struktur haben. Also habe ich auf klares Wasser, viel Licht und starke Kontraste durch die weiße Wanne und das dunkelhaarige Model gesetzt. Bei diesem Shooting war relativ schnell klar, dass wir mit der Erwartungshaltung der Betrachter spielen wollten. Unter der Wasseroberfläche zu sein, hat für viele etwas Beängstigendes. Man kann das Untertauchen allerdings wörtlich nehmen – dann haben die Bilder etwas Beruhigendes und Melancholisches.
Thomas: Wieviel Zeit wendest du in deinem Leben für die Fotografie auf?
Andrea: Das hängt natürlich ganz stark davon ab, wieviel Zeit mir mein Beruf lässt. Einen festen Rhythmus für Shootings habe ich nicht. Manchmal sind es mehrere pro Woche, manchmal einen Monat lang gar keines. Diese Zeit nutze ich dann für neue Ideen, bearbeite Bilder oder tausche mich mit anderen Fotografen aus. Gefühlt ist es immer zu wenig Zeit.
Thomas: Arbeitest du gerne seriell wie bei dem »le rêve de la nymphe«?
Andrea: Ja, liebend gerne. Meine letzte Serie stand beispielsweise unter dem Motto „Großstadtindianer“. Ich arbeite nicht mit professionellen Models, sondern mit ganz normalen Menschen. Ich habe festgestellt, dass es für sie einfacher ist, wenn das Shooting ein Motto hat und sie eigene Ideen einbringen können. Durch ein vorgegebenes Thema entsteht eine kreative Dynamik, aus der sich oft neue Einfälle für eine weitere Serie ergeben. Ich finde diese Dynamik schlägt sich auch in den Bildern nieder. Lediglich beim ersten Shooting sind es oft reine Portraits – danach werden die meisten Models mutiger. Zudem setze ich gerne ein bestimmtes Accessoire ein. Das können falsche Wimpern sein, ein Messer oder was sonst so im Haus zu finden ist.
Thomas: An welchen zukünftigen Projekten arbeitest du außerdem, kannst du dazu schon etwas verraten?
Andrea: Wirklich spruchreif ist davon noch keines, da ich momentan zwei Ausstellungen laufen habe. Das Projekt über Depression wird sicherlich noch weiter ausgebaut. Alex und ich strecken da gerade unsere Fühler aus, was noch möglich wäre. Wir haben auf das Konzept unglaublich viele positive und berührende Reaktionen bekommen.
Ein weiteres Projekt ist mit einer Tänzerin geplant. Wir wollen den Rhythmus einer Landschaft durch Tanz darstellen.
Thomas: Welches größere Projekt würde dich faszinieren, hast es aber auf Grund von fehlenden Ressourcen noch nicht umgesetzt?
Andrea: Mir geistert schon länger etwas im Hirn herum, das ich unbedingt umsetzen möchte. Es ist wieder eine Kooperation, diesmal mit einer Schriftstellerin. Jeweils eines ihrer Gedichte soll mit einem Portrait von ihr verbunden werden. Wir haben schon eine Menge Ideen für den Gedichtband, aber finden nicht die Zeit es ernsthaft in Angriff zu nehmen.
Thomas: Welche sind von dir bevorzugte Inspirationsquellen (Fotografen-Portfolios im Internet, Ausstellungen, Treffen, etc.) – und welche Tipps möchtest du uns hierzu geben – zum Beispiel tolle Online-Portfolios?
Andrea: Natürlich gibt es Fotografen, die ich toll finde (z.B. Raquel Chicheri). Echte Inspirationsquellen liegen für mich aber eher außerhalb der Fotografie: Musikvideos, Gedichte, manchmal auch das, was gerade im Fernsehen läuft. Ich habe beispielsweise eine Reihe mit Tanzbildern und Portraits aufgrund der TV-Serie „Flesh and Bones“ fotografiert.
Die einzige Community, an der ich mich aktiv beteilige, ist 500px. Hier ist von ambitionierten „Hobbyisten“ bis zu hochkarätigen Fotografen alles vertreten und ich habe das Gefühl, dass Bilder dort nicht nur wie Fastfood konsumiert werden. Bei Christian Fuhrmann, Rekha Garton oder Marco de Waal schaue ich dort regelmäßig in die Portfolios.
Aus meinem Bekanntenkreis kann ich natürlich die Seiten von Alex Apprich und Werner Polwein empfehlen. Beide haben einen ganz eigenen Stil mit hohem Wiedererkennungswert. Wer sich für analoge Fotografie interessiert, sollte unbedingt bei Max Orlich vorbeischauen. Er hat einen ganz besonderen Blick für und auf Alltägliches.
Und wer gerade in München ist, sollte sich keinesfalls die aktuelle Ausstellung von Peter Lindbergh entgehen lassen.
Thomas: Vielen Dank Andrea, für deine Bildstrecke und das Interview!
Andrea Kisslinger (Foto: Alex Apprich)
Model: Anouck Arrignon