LichtReize Holger Nitschke

Thomas Gauck: Hallo Holger, tolle Sachen kann man in deinem LichtReize-Portfolio finden, manchmal etwas dark, immer aber raffinierte, abwechslungsreiche Portraits, die wirklich Lust machen mehr zu sehen. Wie würdest du selbst deinen Portrait-Stil bezeichnen?

Holger Nitschke: Erst einmal vielen Dank für Dein Lob! Ich selber kann mich nur sehr schwer stilistisch einordnen. Von Aussenstehenden habe ich aber schon des Öfteren gehört, das man meine Bilder wiedererkennt bzw. mir zuordnen kann, was mich natürlich freut. Also: ich denke alle Motive verbindet ein gewisses Maß an Distanz bzw. auch eine Dosis Melancholie. Ich mag es bei Bildern „zwischen den Zeilen“ zu lesen – die Bezeichnung „die Ausdrucksstärke der Ausdruckslosigkeit“ trifft es gerade bei Portraits ziemlich genau auf den Punkt. Lachen kann jeder, ich mag meine Modelle gerne fast schon Puppenhaft inszenieren, dabei sollen sie aber auf keinen Fall schwach oder hilflos erscheinen – eher Distanziert/Kühl oder in sich gekehrt.

Thomas: Wer sich dein Portfolio näher ansieht, wird schnell feststellen …: Du bist unglaublich schaffensreich – das ist mal fakt, würde ich meinen. Und dabei bist du doch noch hauptberuflich ganz anders aufgestellt. Wieviel Zeit gönnst du deiner Fotografie, wie kommst du zeitlich rum, wie integrierst du die Fotografie in deinen Alltag – gibt es da zeitliche Regeln?

Holger: Ja, ich denke das ich fotografisch schon ein ziemlicher Workaholic bin – die Fotografie (und die dazugehörende Bearbeitung und das leidliche Social-Media) fressen nahezu meine komplette Freizeit auf. Im Durchschnitt haben wir 2 bis 3 Foto-Sessions im Monat, welche immer am Wochenende stattfinden. In der Woche bin ich voll berufstätig, der Feierabend geht dann für das schon erwähnte Sortieren/Bearbeiten/Publizieren drauf. Auch wenn es manchmal etwas viel wird, kann ich doch nicht ohne. Falls mal drei Wochenenden nacheinander kein Termin stattfindet, juckt es mir schon in den Fingern. Zeitliche Regeln gibt es nicht wirklich, ab und zu muss ich mich selbst (oder meine Partnerin mich) aber schonmal vom Rechner wegzerren.

Thomas: Wie gehst du mit dem Erreichten um, bist du selbstkritisch und löschst auch mal Bilder wenn sie dir deinem heutigen Standard nicht mehr genügen, oder ist es dir gerade recht, wenn man eine Progression erkennt?

Holger: Ich schätze mich als ziemlich selbstkritisch ein, gerade ziemlich alte Bilder sind inkompatibel gegenüber meinem aktuellen Geschmack. Ich denke das ist ein natürlicher Prozess, wer will schon auf der Stelle treten? Mein Stil oder auch die Wahl der Modelle hat sich vor einigen Jahren (2010/2011) ziemlich stark verändert. Es gibt aber auch immer noch einige Bilder aus meinen Anfangszeiten, die ich auch heute noch sehr gern mag, bzw. zu ihnen stehe.

Holger Nitschke

Thomas: Bei der Wahl deiner Modelle – und das denke ich sieht man – bist du ebenfalls extrem sorgfältig, denn im Prinzip sehe ich da immer Personen, die durch ihre Persönlichkeit dem Bild Tiefe geben. Klar wird die Tiefe auch durch andere Komponenten wie Bildlook, Location und dein handwerkliches Können als Fotograf erreicht, aber es sind eben auch die Menschen mit ihrer sehr eigenen Ausstrahlung ohne die ein Holger-Nitschke-Bild sicher so nicht wirken würde. Wie gehst du bei der Wahl deiner Protagonisten vor? Ist da erst der Kontakt zum Model und dann die Bildidee, oder suchst nach Typen die deinem Bildkonzept gerecht werden – und, was mich noch sehr interessieren würde, wie sorgst du dafür dass ein Model sich dermaßen mit einem Sujet, einer Idee identifiziert, insofern dass ein Portrait zum Kunstportrait wird – ich denke da zum Beispiel an Bilder wie ‚Lost Rivers‘, ‚Empty Bridges‘, ‚Dismissed‘ oder ‚Last Days‘ – das sind ja typische Arbeiten von dir, die wie Standbilder aus einem David Lynch-Film wirken?

Holger: In den meisten Fällen läuft die Wahl der Modelle über das Internet ab – ich und meine Partnerin Ilka (die ja das Styling macht) schauen recht viel in Model-Karteien und auch sozialen Netzwerken nach neuen Gesichtern, aber auch auf der Straße haben wir schon das ein oder andere potentielle Modell angesprochen. Unser Geschmack ist recht ähnlich: Posingerfahrungen sind nicht immer so wichtig, der Ausdruck ist das, auf was es mir ankommt. Ich kann auch gar nicht so genau beschreiben, was es ist – entweder jemand passt in das Konzept oder nicht. In den Anfangsjahren habe ich mich primär anschreiben lassen, in letzten Jahren bin ich mehr dazu übergegangen, selber spannende Modelle zu Kontaktieren.
Ein wirkliches Konzept gibt es nicht immer: ich improvisiere gern und lasse mich durch meine Modelle inspirieren. Klar, es gibt auch geplante Settings für die ich gezielt Modelle suche, aber oftmals lasse ich ein Shooting auch gerne einfach nur geschehen. Das ganze Leben ist so durchgeplant und durchorganisiert, gerade der Freiraum bei einem Shooting ist mir sehr wichtig.
Vor der Zusammenarbeit werden in der Regel Moods in Bilderform ausgetauscht, aber nicht um die Bilder zu kopieren, sondern um eine „Linie zu finden“ bzw. damit ich dem Model meine Vorstellungen was die Bildstimmungen / den Ausdruck angeht rüberbringen kann.

Thomas: In deinem Portfolio gibt es Bilder, die indirekt eine filmische Handlung erzählen, zumindest in der Phantasie. Ich denke, das ist das bestmögliche Resultat guter Portraitfotografie. Reizt es dich deine Arbeit eines Tages auf den Film, vielleicht den Kunst-Kurzfilm auszuweiten, oder siehst du eher in der Verdichtung auf den Moment die Herausforderung in der Portraitfotografie – oder wie siehst du das generell?

Holger: Vielen Dank für das indirekte Lob – es freut mich sehr das Du erkennst, daß ich schon des Öfteren versuche Filmszenen „nachzustellen“ bzw. Bilder mag die, aus Filmen zu stammen scheinen. Ich liebe stylische Filme und auch Musikvideos: wenn es nur meine Zeit zulassen würde, hätte ich bestimmt schon angefangen mich näher mit dem Filmemachen und der dazugehörigen Bearbeitung zu beschäftigen. Ich finde das ein sehr spannendes Thema, allerdings fehlt mir wie erwähnt einfach die Zeit und ich konzentriere mich derzeit lieber weiter auf die Fotografie.

Thomas: Und aus Bücher-machen? Für die, die es noch nicht wissen: Du hast einen Bildband herausgebracht, mit dem Titel ‚time flies‘. Erzähl doch mal, wie ist der entstanden, was ist darin zu sehen – und wie kommt man zu dem?

Holger: Was viele vielleicht nicht wissen, es gab schonmal einen LichtReize-Bildband – und zwar 2011 zur damaligen Ausstellung in Oldenburg. Seit 2011 hat sich meine Arbeitsweise und auch die Modelwahl ziemlich verändert, was einen neuen Bildband in etwas größerer Auflage unabdingbar machte. Es macht mir auf jeden Fall auch sehr viel Spaß ein Buch zu „Layouten“. Das Buch beinhaltet auf 100 Seiten viele Arbeiten aus den Jahren 2011 bis 2015, die mir selber sehr am Herzen liegen.
Das Buch kann direkt über mich bezogen werden – z.B. per eMail (holger@lichtreize.com) – auf meiner Homepage (www.LichtReize.com) sind auch noch mehr Informationen dazu zu finden.

Thomas: Welche Software bzw. Anbieter hast du zur Erstellung des Buches benutzt?

Holger: Die Druckvorlage habe ich selber mit Adobe InDesign erstellt. Das Buch wurde bei Viaprinto gedruckt.

Thomas: welche Erfahrungen hast du denn in der Realisierung von Ausstellungen gesammelt, was sind deine wichtigsten Erkenntnisse daraus?

Holger: Ausstellungen sollten lange im Voraus geplant und überaus eifrig beworben werden. Inzwischen läuft ein Großteil der Werbung ja über soziale Netze Facebook/Instagram. Da kann man ja auch direkt eine Veranstaltung erstellen und die Leute einladen. Man sollte sich darüber bewusst sein, daß Ausstellungen in eigener Regie fast immer ein finanzielles Verlustgeschäft darstellen. Darüber hinaus kann eine Ausstellung aber sehr viel Spaß machen, es ist halt was anderes sich „Real“ als nur im Netz zu präsentieren.

Thomas: Fotografierst du eigentlich nur digital, oder hast du ein analoges Schätzchen … ?

Holger: Bisher fotografiere ich ausschliesslich digital. Hier liegt allerdings noch eine einsatzbereite Polaroid-Kamera sowie die alte Voigtländer von meinem Vater. Beide plane ich schon länger einmal bei einem Shooting einzusetzen ;-)

Thomas: Bei deinen Portraits könnte ich mir einen analogen Look sehr gut vorstellen … Wo siehst du dich fotografisch in ca. 10 Jahren? Was sind diene mittelfristigen Ziele? Lassen sich die irgendwie festmachen, oder oder bist du agil genug um der Freude Vorrang zu gewähren?

Holger: Ja, ich mag den analogen Look sehr gerne. Die Zukunft: ein schwieriges Thema. Ich kann dazu leider zur Zeit wenig sagen bzw. befinde mich da im Umbruch. Verzeih mir bitte das ich dazu zur Zeit keine genaueren Aussagen tätigen kann. Eines steht jedoch fest: Fotografieren werde ich in 10 Jahren bestimmt immer noch. Ich denke nicht das ich die Hingabe, die ich für die Fotografie habe, irgendwann einfach hinschmeissen kann.

Thomas: Das freut uns Holger! Sag mal, du bist ja verschiedensten Platformen ziemlich aktiv … Wo hältst du dich am liebsten auf und warum?

Holger: Relativ viel Neues zeige ich bei 500px und so langsam auch immer mehr bei Instagram. Aktuell habe ich mich auch bei 1x angemeldet, gerne präsentiere ich auch bei Behance, gerade weil die Qualität dort noch relativ hoch ist und es dort wirklich spannende Arbeiten zu entdecken gibt.

Thomas: Gibst du viel Geld für Equipment aus – was besorgst du dir aus welchem Antrieb heraus, bzw. welche Technik setzt du ein? Lässt du dich von neuer Fototechnik in irgendeiner Form beeinflussen?

Holger: In den letzten Monaten habe ich schon recht viel für ein neues System ausgegeben – ich setze jetzt vermehrt auf ein spiegelloses System (Fuji). Die DSLR war mir einfach inzwischen zu sperrig – gerade bei Outdoor-Aufnahmen nervte mich die Schlepperei. Ich mag es gern etwas puristisch: am meisten Fotografiere ich mit einer kleinen, unscheinbaren 35er Festbrennweite. Auch setze ich für Outdoor-Aufnahmen keine externen Lichtquellen oder Lichtformer ein, höchstens mal einen Reflektor um ein paar ungünstige Schatten aufzuhellen. Ich interessiere mich schon für Technik, allerdings denke ich das man für ausdrucksstarke Bilder auf vieles auch einfach verzichten bzw. einem die Technik auch schnell vom eigentlichen Motiv ablenken kann.

Thomas: Was ist dein Rat an junge Fotografen um einen eigenen Weg zu finden?

Holger: Macht geile Bilder! :-)